Von der Germanistik-Studentin zur Autorin

von Leyla J. Ağca

»Und was wirst du nach deinem Studium? Taxi-Fahrerin?«

Diesen Spruch habe ich in meinem Germanistik-Bachelor andauernd gehört. Meistens habe ich nur lieblos gelächelt und gesagt, ich wüsste es noch nicht genau. Es hat bis zu meinem siebten Semester gedauert, bis ich mal ernsthaft zugegeben habe, dass ich eigentlich bereits einen Beruf vor Augen habe:

Autorin.

So richtig mit Whiteboard, um all die Handlungsstränge zu überblicken. Mit besonderem Computerstuhl, weil mein Rücken vom vielen Schreiben wehtun wird. Und mit Wärmepflaster ums Handgelenk, damit ich auch noch das dreitausendste Buch signieren kann.

Gut, aktuell habe ich vielleicht nur das Whiteboard. Und mein Debüt, das ich noch gerade so ohne schmerzendes Handgelenk signiere. Aber was viel wichtiger ist: Am Neujahrsmorgen 2022 habe ich mich entschieden, meinen Traum vom Bücherveröffentlichen in die Tat umzusetzen.

Doch erstmal zum Anfang:

Wieso habe ich genau dieses Germanistik-Studium gewählt?

Mit dem Schreiben kann man nichts verdienen, also muss das mein Hobby bleiben, habe ich anfangs gedacht. Daher musste ein möglichst sicherer Berufsweg her und es wurde: Wirtschaftsinformatik. Doch nach drei Tagen im Studium, in denen ich gefühlt nur Zahlen anstatt Worte sehen konnte, musste ich abbrechen. Für mich wurde klar: Lieber etwas weniger Sicherheit, als eine Zukunft ohne schriftstellerische Kreativität.

Ich brauchte etwas, wo ich dem Schreiben, dem Figuren-Entwickeln und Menschen-Analysieren so nah wie möglich kommen konnte. Der Studiengang Germanistik, Literatur- und Kulturwissenschaft war mit all seinen vielen Worten wie eine zweite Chance
für mich. Als ich sogar für das Nebenfach Psychologie angenommen wurde, hatte ich meine Motivation vollends zurück.

Letztendlich war ich in meinem Nebenfach um einiges besser. Im Hauptfach habe ich die Unterhaltungsliteratur vermisst, die ich in meiner Freizeit gern lese und schreibe. Während in Studiengängen wie English Studies auch New Adult Romane oder Fantasygeschichten besprochen wurden, bin ich in meinem Studium mit Proust, Lessing und Brentano nicht ganz so warm geworden.

Erst im siebten Semester habe ich auf der Suche nach Optionalbereichs-Leistungspunkten das Seminar Romanwerkstatt gefunden. Geleitet von einer echten Autorin – Christine Lehnen, die als C. E. Bernard preisgekrönte Fantasy schreibt. Mir wurde klar, dass ich diese Chance nutzen muss. Dass ich mich überwinden würde, meine Geschichten zum ersten Mal wirklicher Kritik auszusetzen.

Okay, ich wurde beim ersten Mal abgelehnt. Aber die Besten erfahren immer zuerst Rückschläge, nicht wahr? Mein Ehrgeiz hatte ein Semester Zeit, um mich durch etliche Schreibtheorie-Blogs, -YouTube-Videos und -Ratgeber zu bringen. Beim zweiten Versuch wurde ich angenommen.

Wie hat mir das Seminar Romanwerkstatt geholfen?

Was ich früher nachts meiner Tastatur erzählt habe, wurde jetzt tatsächlich von Menschen gelesen. Von Schreibenden, die sich damit auskannten, wie man einen Spannungsbogen baut, Charaktere vielschichtig gestaltet oder in einem seitenlangen Buch den Überblick behält.

Neben den alten Hasen, die schon ein Semester oder länger dabei waren, wurde der Kurs mindestens zur Hälfte gefüllt von neuen Hasen. Wie mir. Sie wussten entweder noch von gar nichts oder kannten schon ein paar Sachen und wollten für die Umsetzung an die Pfote genommen werden. In den Handwerkssitzungen habe ich die Theorie gelernt und mich in den Werkstattsitzungen getraut, meine Romanauszüge analysieren zu lassen.

Besonders wertvoll war es für mich zu erfahren, wie ich hilfreich kritisiere und wie ich mit Kritik umgehe. Dass ich meine Anmerkungen mit bestimmten Methoden auf nachhaltige Weise rüberbringen kann. Und dass ich nicht alles annehmen muss, aber es erstmal überdenken sollte.

Schließlich hatte ich mich so weit verbessert, dass mir meine alten Texte bereits peinlich waren. Als ich auch noch meine Bachelorarbeit eingereicht und ein wenig Zeit bis zum Master hatte, stellte mein Bruder mir an Neujahr eine unverfängliche Frage: »Was hast du nächstes Jahr vor?« Drei Stunden später stand es fest. Ich würde ein Experiment starten.

Wie habe ich meinen Debütroman veröffentlicht?

Ein dreiviertel Jahr ist nicht viel für eine Buchveröffentlichung. Wie knapp es werden würde, wusste ich zum Glück erst später. An Neujahr 2022 stellte ich einen Businessplan auf, eigentlich einen niedergekritzelten Jahreskalender auf der Rückseite eines Französisch-Arbeitsblatts. Mit dem Endziel: Release im Oktober.

Zeitgleich haben sich in der Romanwerkstatt zum ersten Mal Literaturagentinnen angekündigt, die unsere Projekte auf Markttauglichkeit prüfen und uns Feedback geben würden. Also habe ich eine Leseprobe für die Agentin aufbereitet, während ich mein Manuskript in anderthalb Monaten runtergeschrieben habe. Ebenso habe ich ein Exposé angefertigt, das unsere Romanwerkstattdozentin Verena Koll liebevoll Mätresse des Teufels nennt. Wer schon mal fünfhundert Seiten auf drei Seiten zusammenfassen musste, kann das vermutlich nachempfinden. Falls euch das leicht von der Hand geht, meldet euch bitte bei mir und verratet mir euer Geheimnis.

 

Die Agentin hat mir interessante Einblicke gegeben, aber es wurde keine Zusammenarbeit daraus. Da ich ohnehin keine Zeit hatte, mich um eine Agentur zu bemühen, die sich für mich um einen Verlag bemühen würde, der wenn überhaupt erst in zwei Jahren einen Platz im Programm finden würde … wählte ich wie bereits angedacht den schnellsten Weg: das Selfpublishing.

So konnte ich selbst auswählen, wer mein Debüt Freiheitsflüstern lektoriert, korrigiert, von innen und außen gestaltet und schließlich veröffentlicht. Für den letzten Schritt, bei dem das Buch in den Handel gebracht wird, kann man sich Selfpublishing-Dienstleister zur Hilfe nehmen. In meinem Fall ist es tolino media, die durch die tolino Allianz gut an den Buchmarkt angebunden sind, um Freiheitsflüstern bestell- und sichtbar zu machen.

Nur brauchen Dienstleistungen, besonders die kreativen, eben ihre Zeit. Während meine Lektorin mein Debüt auf den Inhalt überprüfte, baute ich mir einen Instagramkanal auf und verzweifelte an meiner Marketingstrategie. Auch kämpfte ich mit meiner ersten eigenen Webseite. Als ich die Anmerkungen eingearbeitet hatte, ging mein Buch nun in das Stillektorat. In dieser Zeit suchte ich ein authentisches Rokokokleid, erstellte einen Newsletter und brainstormte über Cover und Titel. (Dieser lautete zu dem Zeitpunkt noch Rokoko, denn mein Jugendbuch spielt – wer hätte es gedacht – im 18. Jahrhundert.) Und das ist nur ein Zehntel der Dinge, die im Selfpublishing auf mich zukamen. Wenn ich mir jetzt meinen Kalender von 2022 ansehe, kriege ich Beklemmungen. Und ein bisschen Herzflattern, schließlich war es ziemlich aufregend, die erste Leseprobe zu veröffentlichen und einen geheimen Coverreveal für meine Abonnierenden zu gestalten sowie einen öffentlichen, bei dem ich mich vor Nachrichten gar nicht retten konnte.

Ich würde es definitiv noch mal machen.

Was ist nach der Veröffentlichung passiert?

Zwar sind durch einen Dienstleister meine Bücher überall bestellbar, aber dadurch liegen sie noch lange nicht in jeder Buchhandlung. Für jeden Regalzentimeter und besonders die Tische im Eingang müssen sich alle Verlage ins Zeug legen, sogar die großen. Dafür gibt es Verlagsvertreter*innen, die von Buchhandlung zu Buchhandlung reisen und das neue Programm vorstellen.

Als Selfpublisherin bin ich das selbst.

Zum Glück war mein Wunsch riesig, meinen Roman in den Regalen zu sehen, aus denen ich sonst selbst kaufe. So riesig, dass ich erst vor der Tür der ersten Buchhandlung gemerkt habe, wie viel Angst mir das eigentlich macht. Fremde Buchhändler*innen ansprechen. Mich als Autorin vorstellen. Mein Buch pitchen. Wäre die erste Begegnung nicht so herzlich abgelaufen, hätte ich sicher aufgegeben. Denn direkt das nächste Gespräch war so von oben herab, dass ich schwer schlucken musste.

Dafür hat mich meine erste Lesung wieder an das Gute im Buchmarkt glauben lassen. Nicht nur hatte ich unheimlich viel Spaß mit der Moderatorin, sondern auch mit den Zuschauenden, die mein Rokokokleid geliebt haben – die Lesung war sogar ausverkauft.

Völlig umgehauen hat mich der 2. Platz beim Newcomerpreis. Der Award kürt die drei besten Bücher von all den Autor*innen, die innerhalb eines Jahres zum ersten Mal über tolino media veröffentlicht haben. Zwischen erfahrenen Schreibenden, die bereits ihr dutzendstes Buch herausgebracht haben, hat sich die Jury ausgerechnet für mein kleines Experiment entschieden. Ganz schön magisch.

Was würde ich angehenden Autor*innen raten?

Erstmal: Ja, du bist ein*e Autor*in. Egal, ob du schon deinen dritten Bestseller in den Buchhandlungen besuchst, gerade dein neuntes abgebrochenes Projekt in die Schublade verbannst oder heute deine erste Romanseite schreibst.

Für mich war es eine riesige Überwindung, mich Autorin zu nennen. Zum ungefähr ersten Mal habe ich mich dazu überwunden, als ich im Schloss Augustusburg in Brühl eine Guide nach der Führung angesprochen habe. Ob sie mir vielleicht ein paar Recherchefragen zu meinem Jugendbuch beantworten könnte, das hier spielen würde. Ihre Reaktion: »Du bist Autorin? Das ist ja wundervoll!«

Auch wenn sie nicht so lieb geantwortet und mir keine Kataloge an Fragen beantwortet hätte – zu schreiben ist ziemlich wundervoll und braucht keinen Veröffentlichungsstempel oder dergleichen.

Aber mal Klartext. Ich will nicht wie ein Finanzbro nur von Mindset sprechen (auch wenn dieses gerade in kreativen Berufen sehr wichtig ist, ich sag nur: Imposter-Syndrom). Hilfreich war es für mich zu erkennen, dass Schreiben ein Handwerk ist. Lange habe ich gedacht, ich dürfte keine Ratgeber lesen, weil ich sonst meine ›Geniehaftigkeit‹ verlieren würde. Ein Gedanke der, wie ich es wahrnehme, besonders im deutschsprachigen Literaturraum vorherrscht. Nicht umsonst gibt es im englischsprachigen Raum dutzende Creative Writing Studiengänge – in Deutschland gibt es etwa drei. Und diese fokussieren sich besonders auf belletristische Literatur, also weniger auf Genres wie Krimi oder Romance. Dabei kann es ebenso gelernt und gelehrt werden, einen witzigen Schlagabtausch oder eine knisternde Spannung zu schreiben.

Mein Tipp ist daher die Romanwerkstatt oder Seminare, Workshops, Gruppen wie diese. Ich bin dabei nicht nur schriftstellerisch und persönlich über mich hinausgewachsen. Ich habe auch zum ersten Mal eine Community aus Menschen gefunden, die verstehen, wie es ist, wenn das Manuskript vor lauter Plotholes aussieht wie ein Nudelsieb, meine Charaktere ihren eigenen Kopf entwickeln oder mich mein selbsterdachter Plottwist umhaut.

Wo kann man mit mir quatschen?

Schreibt mir gerne jederzeit eure Fragen und Anmerkungen. Zum Beispiel auf Instagram (@leylajagca_autorin) oder über meine Webseite (www.leylajagca.com) Wie ihr merkt, liebe ich es, über das Schreiben zu sprechen. Jetzt, wo ich mich endlich traue.