von Carlotta Roos
Leistungsdruck ist keine Einzelerfahrung. Die meisten leiden schon in der Schulzeit unter den hohen Erwartungen, die einem sowohl von sich selbst als auch von anderen auferlegt werden. Gerade in einem leistungsorientierten akademischen Umfeld können sich diese Erfahrungen wiederholen und noch stärker vertiefen.
Leistungsdruck ist keine Einzelerfahrung. Die meisten leiden schon in der Schulzeit unter den hohen Erwartungen, die einem sowohl von sich selbst als auch von anderen auferlegt werden. Gerade in einem leistungsorientierten akademischen Umfeld können sich diese Erfahrungen wiederholen und noch stärker vertiefen.
Der Studiumsstart: Eine große Veränderung
Lucie studiert seit Oktober 2022 Politik und Gesellschaft, sowie Sprache und Kommunikation in der globalisierten Mediengesellschaft (SKGM) hier in Bonn. Sie hat nicht direkt nach dem Abi mit dem Studium angefangen, weshalb der Sprung zurück in ein Leistungsumfeld, wie die Uni es ist, besonders groß war.
Dadurch haben sie die Eindrücke, die sie schon aus der Schule kannte, direkt wieder eingeholt. “Als ich in die Uni kam, habe ich auf einmal gemerkt, dass man wieder über Noten spricht und auch mitkriegt, was andere Leute für Noten haben. Dann habe ich gemerkt, ok, jetzt geht’s halt direkt wieder los.”
Die Herausforderungen der Universität
Der Leistungsdruck fing für Lucie dementsprechend nicht erst in der Prüfungsphase an: “Schon in den Seminaren hatte ich das Gefühl, dass ich sehr eingeschüchtert war von den Wortbeiträgen der anderen Menschen. Das hat mich schon gestresst, weil man sich natürlich damit vergleicht.” Gerade im Fach Politik war das für sie besonders schwierig, denn viele Studierende haben schon zu Beginn des Studiums eine starke politische Meinung und sind teilweise auch schon in Parteien engagiert. Das löst einen enormen Druck aus, obwohl Lucie sich bei politischen Themen eigentlich schon immer in der Beobachterrolle gesehen hat und auch selber sagt, dass sie sich damit wohlfühlt.
Zudem hat sie die Erfahrung gemacht, dass die mündliche Mitarbeit zwar nicht verpflichtend ist, sie trotzdem aber sehr gerne gesehen und auch positiv bewertet wird. Das geschieht in der Uni zwar nicht über Noten für die mündliche Mitarbeit, doch trotzdem wird die aktive Mitarbeit von den Dozierenden belohnt. Lucie berichtet, dass Dozierende Studierende, die besonders viel mitmachen oder auch gute Klausuren schreiben, rekrutieren, um für sie zu arbeiten
“Man merkt, da baut sich ein Netzwerk auf und ich habe mir dann gedacht, okay, da werde ich nie ein Teil von sein. Einfach weil ich niemals in einem Seminar so auffallen werde. Ich mache gar nicht so viel mit.”
Ob sie überhaupt Teil von diesem Netzwerk sein möchte, ist da erstmal nebensächlich. Denn es geht um das Gefühl, Chancen zu verpassen und nicht zu den wenigen Auserwählten zu gehören: In der Uni aufzufallen, scheint ein direkter Vorteil für die zukünftige Karriere zu sein.
Der Karrieredruck in geisteswissenschaftlichen Studiengängen
Der Druck, sich jetzt im Studium anzustrengen, um dann später einen guten Job zu erhalten, ist bei Studierenden in geisteswissenschaftlichen Studiengängen besonders groß. Immerhin können wir nicht alle Taxifahrer:innen werden.
Aber, Spaß bei Seite: Gerade wenn man noch keinen festen Karriereplan hat, gilt beim Studium häufig das Motto „Je besser die Noten, desto besser die Berufsaussichten“. Auch Lucie kennt dieses Gefühl: “Man sollte krasse Praktika gemacht haben, gleichzeitig irgendwie Arbeitserfahrungen sammeln, am besten noch mindestens eine Fremdsprache lernen und auf jeden Fall ins Ausland gehen, um die gesellschaftlich Erwartungen und auch die hohe Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt erfüllen zu können.”
Familiäre Erwartungen und Unsicherheit
Dazu kommt noch die Erwartungshaltung der Familie. Lucie ist die erste in ihrer Familie, die studiert, weshalb ihre Eltern ihre Entscheidung regelmäßig hinterfragen. “Ich glaube, ich wäre wesentlich entspannter, wenn ich ältere Geschwister hätte, die auch schon studiert hätten”, gibt sie zu. Ihr fehlt an dieser Stelle ein Vorbild aus der Familie und damit die Gewissheit, dass es schon irgendwie klappen wird mit dem Studium.
Verständlich sind dann auch die Nachfragen ihrer Eltern, ob sie sich schon Gedanken gemacht hat, was sie mit ihrem Studium machen will oder wie die Jobaussichten denn überhaupt so aussehen.
Der beste Tipp ist es wohl, sich klar zu machen, dass man nicht alleine ist mit seinen Gedanken und Emotionen
Um sich etwas von dem Leistungsdruck zu nehmen, hilft es oft, seine eigenen Erwartungen mit etwas Abstand zu betrachten. Denn nur weil andere Studierende Prioritäten setzen, die sich von den eigenen unterscheiden, heißt das nicht, dass diese auch für dich sinnvoller wären. Das Studium stellt für viele eine Selbstfindungsphase dar und eben diese Perspektive kann damit helfen, seine eigenen Ziele und Motivationen zu hinterfragen.
Auch Lucie hat diese Erfahrung gemacht: “Wenn man eh noch nie eine Person war, die zum Beispiel gerne mündlich mitgemacht hat, dann sollte man auch nicht erwarten, dass, wenn man in einem komplett neuen Umfeld ist, dann das Seminar carried. Das ist ja auch ein bisschen vermessen und ich glaube manchmal hilft ein kleiner Realitätscheck, bis man sich vielleicht auch bewusst macht: Das ist hier gerade eine krasse Veränderung, die ich hier durchmache mit dem Umzug in eine neue Stadt. Und dann hilft auch die Erkenntnis, dass man nicht alles, auch so machen muss, wie es im Plan steht. Sondern, dass man vieles einfach so legen kann, dass es für einen selbst passt.”
Empfehlungen für die Prüfungsphase
Für die Prüfungsphase empfiehlt Lucie zudem Lerngruppen. Denn wenn man mit Freund:innen zusammen lernt, erhält man immer ein direktes Feedback dazu, ob man den Stoff auch wirklich drauf hat. Außerdem kann es echt beruhigend sein, wenn man dann merkt, dass man gar nicht die einzige ist, die etwas nicht versteht.
“Das ist wie ein Anker, weil an der Uni oft eine Einzelkämpfer-Moral herrscht und man auf sich alleine gestellt ist. Gerade die Lerngruppen geben mir dann extrem viel Halt vor den Prüfungen“
Zu guter Letzt ist es auch sinnvoll, sich vor Augen zu führen, dass wir auch alle nur mit dem gleichen Wasser kochen. Selbst wenn du in deinem Studium Menschen begegnest, die scheinbar perfekt sind, solltest du daran denken, dass das immer nur eine Momentaufnahme des Lebens der anderen Person ist. Denn oft messen wir unser Können an ganz anderen Kriterien als das der anderen.
Gemeinschaft gegen den Leistungsdruck
Das nächste Mal, wenn du dich wie erdrückt fühlst von den ganzen Erwartungen, die auf dir liegen, frag deine Kommiliton:innen, ob es ihnen vielleicht genauso geht. Denn die beste Art, aus dem Leistungsdruck auszubrechen, ist, sich bewusst zu machen, dass man nicht alleine ist. Auf diesem Wege leistest du außerdem deinen Teil dazu bei, das Thema im akademischen Kontext endlich zu normalisieren.
Unsere Tipps gegen Leistungsdruck im Studium
- Mache dir deine eigene Motivation bewusst. Worauf arbeite ich hin? Lohnt sich der Stress mit Ausblick auf mein Ziel oder belastet er mich unnötig?
- Bleibe dir selbst treu und vergleiche dich nicht die ganze Zeit mit den anderen. Wer sagt denn, dass du genau so sein willst, wie die?
- Verfolge deine eigenen Ziele und versuche nicht immer, es allen anderen recht zu machen. Du wirst es nie allen Recht machen können und es ist definitiv nicht wert, deine Energie darauf zu verschwenden, es zu versuchen.
- Erlaube dir Pausen. Sie sind wertvoll und nur wenn du wohl erholt bist, zahlt sich die Mühe überhaupt erst aus.
- Bleibe im Austausch mit Kommiliton:innen, um nicht zu sehr von den realen Ansprüchen des Studiums abzudriften. Zusammen sind selbst die größten Herausforderungen einfacher zu bewältigen.
- Priorisiere deine Aufgaben und denke darüber nach, was dir in diesem Moment wirklich hilft, um dich nicht in den Details zu verlieren.
- Setze dir erreichbare Ziele, um nicht an dem Unerreichbaren zu verzweifeln. Als positiven Nebeneffekt kannst du dich selbst damit überraschen, falls du doch mehr schaffst.
- Suche dir mindestens eine feste Beschäftigung als Ausgleich. Dabei ist es nicht so wichtig, ob du Sport machst, Serien streamst, etwas liest oder einfach mit Freund:innen abhängst. Es geht darum, dass es dir Spaß macht und dich auf andere Gedanken bringt.